Interaktionsdesign (IxD)
Titel: INTERAKTIONSDESIGN
Autor: Marcel Ritschel, User Experience Designer bei GMG GmbH & Co. KG
Datum: 10.10.2017
Interaktionsdesign ist eine Planungsdisziplin die sich damit beschäftigt, was sein wird. Wenn das Benutzererlebnis
priorisiert werden kann, und der Gebrauch von Computern eine natürliche Aktivität darstellt, ist ein Verständnis der
Lebenswelten derer, die ein technisches System bedienen essentiell um humanzentrierte Lösungen zu realisieren.
Bill Moggridge betont: "A system isn't complete without the people who use it. People and their goals are the
point of our systems, and we must design for them."
Der Beitrag befasst sich mit den für die Entwicklung interaktiver Systeme relevanten Designprozesse und beschreibt
Methoden, die helfen den Benutzer zu verstehen, Anforderungen zu spezifizieren, Interaktionen zu visualisieren und
Anwendungsmöglichkeiten zu simulieren.
INHALT
1 Designprozesse
"Problem-oriented models [of designing] are essentially linear: The initial analysis stage involves consideration of the problem and its structuring into a set of objectives. Synthesis involves the generation of a range of solutions, and evaluation involves the critical appraisal of the solutions against the objectives." (Clarkson and Eckert, 2005)
- Designrecherche; Analyse, Einschränkungen.
- Problemraum [um]definieren.
- Ideenfindung und Visualisierung: Erstellung von Designvarianten.
- Selektion der besten Variante.
- Prototyp bauen.
- Testen und evaluieren.
▶ Der UI-Designprozess kann als Kontinuum beschrieben werden: (a) Wireframes lassen Layout
und visuelle Struktur erkennen, (b) Storyboards gewähren die zeitliche Gestaltung eines Szenarios, (c) Mockups verwenden
Farbe und Textur um eine Designsprache zu instanziieren, und (d) interaktive Prototypen helfen eine User-Experience zu
simulieren. Ein Kontinuum erlaubt Designern nicht nur gestaffelte Methoden anzuwenden, sondern auch in nicht-linearer Weise
anhand verschiedener Versionen und Iterationen fortzuschreiten (Ritschel, 2014).
Client & User-Centred Design: "Expert designing involves understanding the situation into which the design
will intervene [...] Designers must be as creative in their research as in their idea generation and realisation"
(UTS, 2007). Wenn sich Designer durch konzeptionelle oder technologieunabhängige Vorgehensweisen auf das Benutzererlebnis
konzentrieren, wird die Entwicklung interaktiver Systeme weniger implementierungsorientiert und ermöglicht mehr Stakeholdern
eine aktive Teilhabe am Projekt.
2 Konzeptualisierung
- Ein Kontinuum erstreckt sich vom routinemäßigen Design, wo das zu lösende Problem klar definiert ist, über das innovative Design wo vorhandene Komponenten und Funktionen auf neue Weise rekombiniert werden, bis zum kreativen Design das noch von unbekannten Anforderungen ausgeht.
- Designkommunikation berücksichtigt das visuell-räumliche Gedächtnis (Geometrie, Geografie), das semantische Gedächtnis (allgemeine Fakten), sowie das episodische Gedächtnis (persönliche Erlebnisse).
- Ideenbildung und Problemlösung erfordern kreativ-intuitives sowohl als rational-analytisches Denken. Die Umwandlung von mentalen Repräsentationen in Formen und Begriffe involviert Generieren durch Kommunizieren, und vice versa.
Interaktionen konzipieren: Man kann einen Problemraum bestimmen indem die beabsichtigten Verbesserungen der gegenwärtigen User Experience beschrieben werden. Es müssen die Interaktionsarten ermittelt werden (z.B. Objekte bearbeiten, ein Formular ausfüllen) sowohl als die zugrunde liegenden Metaphern, Analogien oder Idiome* die sicherstellen, dass Benutzer Ihr Interface verstehen. Eine Konzeptualisierung sollte verfügbare Interaktionsparadigmen berücksichtigen (GUI, Multimedia, Point-and-Click, gesten-basiert, mobil/tragbar, VR/AR) und Geschäftsanforderungen sowie Erlebnisziele adressieren.
* (1) Implementierungszentrische Interfaces basieren auf Verstehen; (2) Metaphorische Interfaces basieren auf Analogie; (3) Idiomatische Interfaces basieren auf Lernen. Die meisten grafischen Interfaces sind idiomatisch.
3 Methoden und Vorgehensweisen
"How do you optimize the users' interactions with a system, environment, or product, so that they support and extend
the users' activities in effective, useful, and usable ways?" (Preece, 2007)
Der Interaktionsdesignprozess bietet eine Palette von Methoden um:
- Benutzer zu verstehen und zu modellieren.
- Die Bedürfnisse der Benutzer zu verstehen; Systemanforderungen zu spezifizieren.
- Interaktionen mit dem System zu beschreiben und zu visualisieren.
- Anwendungsmöglichkeiten des Systems zu testen.
Datenerhebung: Designrecherche beginnt oft mit einem Review der vorhandenen Informationen: Marktforschung,
Konkurrenzprodukte, Usability-Studien, Best Practices, Produktbewertungen, Kundenfeedback. Qualitative Forschung
kann Fokusgruppen, digitale Ethnographie oder partizipatorische Methoden einsetzen. Bei der Optimierung von
Benutzerinteraktionen ist es wichtig Benutzer sowohl als Kunden zu verstehen - was sie wollen und benötigen, was finanziert
werden kann, ihre Geschäftsanforderungen, die Unternehmensidentität, etc. Designern wird so ermöglicht Stakeholder als
"Inspirationsquelle für Innovationen" wahrzunehmen.
Personas werden eingesetzt um signifikante Eigenschaften einer Benuzergruppe zu verkörpern. Obwohl eine
Persona an sich fiktiv ist, basiert sie stets auf realen Menschen was Designern erlaubt reale Erwartungen, Motivationen
und Ziele zu adressieren. Weil Personas das Nutzerverhalten repräsentieren, oder gar simulieren, kann man mit ihnen User
Experiences entwerfen und validieren.
Szenarien: Ein Szenario beschreibt spezifische Interaktionen zwischen einer Persona und dem künftigen Produkt
oder System. Szenarien helfen bei der Erkundung von Verhalten und darstellenden Zuständen, d.h. die Handlung des Benutzers
und die Reaktion des Systems. "Scenarios are prototypes built of words" (Saffer, 2007). Ein Key-Path-Scenario
skizziert einen Aufgabenraum [als responsives System] der von Benutzern 'durchlaufen' werden muss um ein Ziel zu erreichen.
Aufgabenanalyse: Aufgaben sind Teil einer Hierarchie [Aktivitäten => Aufgaben => Handlungen] und können als
Zwischenstufe auf dem Weg zum Ziel verstanden werden. Daher sollten die Analyse der gegenwärtigen Aufgaben, sowie die
Formulierung neuer Aufgaben, die Ziele und mentalen Modelle des Benutzers berücksichtigen. Das Resultat der Aufgabenanalyse
ist ein Arbeitsablauf welcher in das Design des neuen Systems integriert werden kann. Workflows treiben den Zuordnungsprozess
bei der Erstellung von Wireframes.
User Stories erlauben kurze, informelle Beschreibungen von Softwarefunktionen. Jeder Stakeholder kann eine User Story schreiben um Diskussionen anzuregen und die Implementierung zu beschleunigen. Ziel ist es: (1) In kleinen Schritten* und vielen Iterationen zu arbeiten, (2) flexibel auf veränderte Anforderungen zu reagieren, (3) die enge Zusammenarbeit im Team zu fördern, und (4) den Dokumentationsaufwand zu reduzieren. Da User Stories aber wenige Details enthalten, und man Komplexität nicht unbegrenzt reduzieren kann indem nicht darüber geschrieben wird, müssen Implementierungsthemen und Handlungsoptionen regelmäßig im Team besprochen werden.
* Die agile, sprint-getriebene Entwicklung tendiert dazu, in Softwarearchitekturen zu münden die früher oder später eine Restrukturierung (mittels Code-Refactoring) erfordern um Wartbarkeit und Erweiterbarkeit zu verbessern.
Wireframes bieten eine konzeptionelle Darstellung der Benutzeroberfläche, meist als einfache Strichzeichnung.
Ein Wireframe besteht typischerweise aus mehreren Rechtecken die UI-Container und wesentliche UI-Elemente repräsentieren.
Wireframes unterstützen den Zuordnungsprozess zwischen Interaktionskonzepten und dem vorgesehenen Benutzererlebnis:
▶ Selektion passender UI-Pattern.
▶ i. Zuordnung der funktionalen Anforderungen auf geeignete
Werkzeuge/Steuerelemente, z.B. Input-Controls die benötigt werden um
eine Handlung auszuführen; ii. Zuordnung der Datenanforderungen auf geeignete Darstellungstypen, z.B.
Displaybereiche die notwendig sind um einen Maschinenzustand wahrzunehmen.
Storyboards: Eine Visualisierung des UIs mithilfe von Wireframes ist wirksamer in Verbindung mit
Anwenderszenarien. Mit einem Storyboard können Designer bestimmte Features und Prozesse des Systems in einem typischen
Nutzungskontext via Bild und Narration erläutern. Storyboards unterstützen auch den Zuordnungsprozess zwischen
Interaktionskonzept und Benutzererlebnis:
▶ Selektion passender UI-Pattern.
▶ Selektion der Navigationsarten für die Nutzerbewegung zwischen (1)
Fenstern, Ansichten, Seiten, (2) Rahmenapplikation, Übersichtsfenstern, Bedienfeldern, oder (3) Werkzeugen, Befehlen,
Menüs.
Prototypen werden gebaut um wichtige Aspekte des neuen Systems zu demonstrieren oder zu testen. Ein
Prototyp bietet Kunden, Entwicklern und Zielbenutzern eine low-fidelity oder high-fidelity Approximation der User
Experience. Prototypen sind keine Stand-Alone-Artefakten. Sie werden meist in eine soziotechnische Struktur
eingebettet um projektspezifische Diskurse und die Erhebung von neuen Daten zu fördern.
Benutzertests: Prototypentests helfen ein Konzept auf Machbarkeit zu überprüfen, oder die
Nützlichkeit/Nutzbarkeit des Produkts festzustellen, sowie um potenzielle Verbesserungsvorschläge aufzunehmen. In einem
einfachen "Walk-Through" erkunden Benutzer Schlüsselfunktionen des Designs anhand eines Papierprototyps.
High-Fidelity-Prototyping basiert auf fortgeschrittenen digitalen oder physikalischen Versionen. Teilnehmer erledigen
spezifische Aufgaben wenn sie mit dem Prototyp interagieren und beantworten Fragen in einem strukturierten Interview.
4 Schlussbemerkungen
"The principle of trust and control is characteristic of our interaction with a manmade technology. However, the use
of media technologies requires not only a comprehensible view of a direct action (means), but also a view of the extended
context (systems environment) and the consequences (diverging goals)." (Buurman, 2005)
Persönliche Überzeugungen ändern sich. Ideologien, Realitäten, Identitäten ändern sich. Unser In-der-Welt-sein ist
durchdrungen von vermittelnden, computergestützten Technologien. Wenn die menschliche Intelligenz ein Vorbild für die
künstliche Intelligenz ist, kommt bald die Frage des Vertrauens (oder besser[e] Kontrolle) auf. Wenn Konzepte nur für
Experten entwickelt werden, und die höchste Leistungsfähigkeit die Designkriterien treibt, könnten sich viele Benutzer
widersetzen.
Menschen die mit komplexen Situationen umgehen brauchen technische Hilfe die einfach zu bedienen ist. Sie wollen eine
Software die respektvoll ist, die Vernunft zeigt, den Mensch an die erste Stelle setzt und Verantwortung wahrnehmen kann.
Autor: Marcel Ritschel
Datum: Schonach, 10.10.2017
5 Bibliographie
Buurman, G (ed.): 2005, Total Interaction: theory and practice of a new paradigm for the design disciplines, Basel.
Clarkson J and Eckert C [eds.]: 2005, Design Process Improvement, Springer-Verlag London Limited.
Goodwin, K: 2009, Designing for the Digital Age: How to create Human-Centered Products and Services, Wiley Publishing, Inc.
Krämer, A: Politik ist keine Mathematik. Abgerufen September 2017: www.tagesschau.de/inland/bundestagswahl-koalition-jamaika-103.html
Moggridge, B: 2007, Designing Interactions, The MIT Press.
Nelson, E: 2002, Extreme Programming vs. Interaction Design.
Preece, J: 2007, Interaction Design: Beyond human-computer interaction, Second edition, John Wiley & Sons, Ltd.
Ritschel, M: 2014, State of the Practice, Abgerufen September 2017: www.20171115.net
Saffer, D: 2007, Designing for Interaction: Creating Smart Applications and Clever Devices, New Riders.
Sy, D: 2006, Adapting Usability Investigations for Agile User-centered Design, in: Journal of Usability Studies.
Tidwell, J: 2006, Designing Interfaces, O’Reilly Media, Inc.